Mittwoch, 29. Juni 2011

Finnische Mahlzeiten...

Ich hatte heute ein Interview zum Thema "Deutsche Migranten in Finnland". War sehr interessant, auch wenn ich mich vielleicht schon viel zuviel mit den gängigen Klischees beschäftigt habe und es mir daher manchmal schwerfällt, Realität und Mythos zu trennen, auf beiden Seiten =) Auf die Frage, was ich hier am schwierigsten finde, habe ich "die Sprache" geantwortet, weil man eben nur schwer integriert wird, noch schwieriger Arbeit findet usw., wenn man kein native speaker ist.

Aber in der Praxis ist etwas anderes noch viel gewöhnungsbefürftiger, überraschenderweise auch noch nach 10 Jahren: die finnischen Essenszeiten. Kein Deutscher, den ich kenne, hat sich voll daran gewöhnt, wir schweben irgendwo dazwischen, aber müssen uns daran halten, seitdem die kleine Frida unseren Haushalt bereichert und erst recht, seitdem sie ins finnikliche Tagespflegesystem eingebunden wurde. Also:

8:00 Frühstück (traditionell mit Haferbrei, Milch und Orangensaft)
11:00 Mittagessen (warme Hauptmahlzeit, häufig Aufläufe, neuerdings auch viel Salat)
14:00 Välipala, Zwischenmahlzeit (Brot, Joghurt, Früchte)
17:00 Päivällinen (zweite warme Hauptmahlzeit, Aufläufe, Nudeln, Fleisch, Sosse, Kartoffelbrei, Reis o.ä.)
20:00 Iltapala, Abendbrot (Schnitte, Joghurt, Früchte)

Kennengelernt habe ich den Anfang dieses hirnrissigen Plans schon in der Fachhochschule, als sich alle um 11 Uhr todeshungrig auf das Mittagessen stürzten. Klar haben da die Germanen noch keinen Hunger, aber mir war es ganz recht, weil ich als chronischer Langschläfer und Morgenmuffel so das Frühstück auslassen konnte - gab ja eh bald wieder etwas. Im Büro gab es um 9 und 14 Uhr Kaffee, irgendwann dazwischen habe ich meine mitgebrachten Brote oder Mikroessen verschlungen und abends haben wir Chaoten halt dann gegessen, wenn wir Hunger hatten bzw. unsere exotischen Kreationen fertig waren.

Anders kam es dann, als Frida schlüpfte. Im Krankenhaus sah ich staunend zum ersten Mal, wie es denn bei "richtigen Finnen" abends weitergeht: da hing nämlich der o.g. Plan an der Wand. Die essen also tatsächlich gleich nach der Arbeit noch einmal warm!!! Ich dachte immer, das war nur so ein Spleen von uns, weil wir ja tagsüber keine Kantine hatten. Wahrscheinlich war das früher, wenn die Leute vom Feld gekommen sind und das Essen tagsüber langsam alleine in der Restwärme des Ofens gegart worden war.

Und dann gibt es, damit man vor Hunger nicht umfällt, gegen 20 Uhr noch einmal eine Schnitte oder einen Joghurt. Aha! Nur schnell aus der Küche geholt natürlich. Worüber sich meine deutschen älteren Bekannten hier tierisch aufregen... kaum ist deren Küche vom Päivällinenchaos gereinigt, fangen die finnisch-deutschen Teenies schon wieder an, den Kühlschrank auszuräumen *ggg* Das ganze löst bei deutschen Besuchern auch den Eindruck aus, dass wir ständig am Fressen sind, dafür sind die Portionen aber kleiner als in deutschen Landen. 

Richtig kompliziert wird es aber dann, wenn man zwar theoretisch den finnischen Plan befolgen will, aber gleichzeitig von 24 Jahren früher Kindheit und internationalen Studentenzeiten noch etwas anderes gewöhnt ist (davon abgesehen, dass ich sehr gern abends warm esse...), wenn man ein Baby hat, von dem man nie genau weiss, ob es wegen Hunger oder Müdigkeit stinkig ist, wenn man einen superflexiblen, schweigenden Männe hat, wenn man gerne ausschläft und gleichzeitig noch Geld sparen und abnehmen muss... dann kocht man nämlich z.B. an den Wochenenden garantiert keine zwei Mahlzeiten, sondern schlägt sich so irgendwie durch. So ganz habe ich das also immer noch nicht verinnerlicht und es hat zu Fridas Kleinkindzeiten ewige Diskussionen gegeben, bis wir vor ungefähr zwei Jahren zumindest das Päivällinen unter Dach und Fach hatten.

Jetzt schwächelt noch das Iltapala, weil Fridas Abende noch zu unregelmässig sind, mal sind wir unterwegs, mal spielt sie ewig lange draussen, mal geht sie mit Papa spazieren oder Sähly spielen, oder wir essen das Päivällinen schon zu spät, weil die Zubereitung länger dauert oder wir zu spät von der Arbeit kommen, mal stinkert Tiita schon früh am Abend so herum, dass man kaum das Zähneputzen schafft, in der Stube hängt keine Uhr mehr und die ständige Helligkeit trägt auch nicht gerade dazu bei, einen regelmässigen Rhytmus zu bekommen.... aber das schaffen wir auch noch =)

Ziel ist jedenfalls, dass das Kind spätestens um 19 Uhr reinkommt, dann ein Brot isst, die Spielsachen einpackt, sich wäscht und Zähne putzt und spätestens um 20 Uhr pennt, damit Mami und Papi noch aufräumen, Zeitung lesen und vielleicht mal Fernsehen gucken können. Und damit alle um 7 aufstehen können, ohne zu treten, boxen und zu schreien. Uff. Schöne Träume. Die Realität sieht oft so aus, dass Frida herumrennt und spielt und Terror macht, bis wir sie mit Macht ins Bett verfrachten und uns tot stellen, Mami um 22 Uhr das Buch vor Müdigkeit aus der Hand fällt und Fridi daneben immer noch kaspert... und dann morgens niemand aus der Falle kommt. Na super. Aber ich habe die leise Hoffnung, dass das besser wird, wenn sie im Herbst in den (anstrengenderen) Kindergarten geht...

Hei, und jetzt merke ich, dass da oben mindestens ein Absatz hops gegangen ist. In dem ging es unter anderem noch darum, dass man zu jeder Mahlzeit mindestens ein Glas Milch herunterkippt, oft auch Kotikalja, ein süssliches Malzgetränk (fast immer) ohne Alkohol, oder verdünnten Saft; und dass die meisten Finnen zu den warmen Mahlzeiten noch ein mit Butter, Margarine, Frischkäse beschmiertes Brot, Baguette oder knochenhartes Winzbrötchen essen. Süsses ist ziemlich verpönt, dafür stopfen sich aber die Kinder zum karkkipäivä am Sonnabend mit Gummibären und Schokolade voll, so wie sie das Jahre später dann mit dem Allehol machen werden (früh übt sich... *räusper*). 



Marmeladenbrote kennt man nicht, Gehacktesbrötchen würde niemand nimmernich anrühren, und wenn man einen Finn so richtig erschrecken will, dann schmiert man Honig auf dunkles Brot, hahaha =) Und um auf die Kommentare zurückzukommen... der Kaffee ist oft schon zumindest für einige Leute eingegossen, weil man hier fast immer Buffet und Selbstbedienung hat, auch bei Feiern und zuhause. In Männes Familie gibt es auch so viele Leute, dass die unmöglich um einen gedeckten Kaffeetisch passen würden. Alternativ gibt es pladdernde Thermoskannen. Dass Finnen weltweit (?) den meisten Kaffee trinken und das meiste Eis schlecken, habe ich bestimmt irgendwo schon geschrieben... und wenn Ihr mal hierher kommt, müsst Ihr natürlich unbedingt Mämmi, Rentiergeschnetzeltes und Elchsuppe probieren, das ist jetzt so das exotischste, was mir auf Anhieb eingefallen ist.

7 Kommentare:

  1. Wieder so ein spannender Bericht aus der mir völlig unbekannten, finnischen Welt. DANKE dafür! Ich bin immer schon gespannt auf Deine Einträge!

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  2. Hier jedenfalls gibt's auch nach acht Jahren Finnland und mit drei Kindern keine zwei warmen Mahlzeiten am Tag. Wer soll das denn kochen?! Ich jedenfalls nicht! Hier gibt's ordentliches deutsches Abendbrot! ;-)

    (Mittagessen um elf ist mir dagegen sehr recht. Nach dem Frühstück hab' ich immer gleich wieder Hunger. Wahrscheinlich, weil ich da nur Honigbrot esse und keinen Puuro... ;-) )

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  3. Die Fotos sind ja interessant. Auf beiden steht der Kaffee in Tassen eingeschenkt auf dem Tisch; das habe ich so noch nie gesehen. Ist das auch typisch finnisch? LG aus Zürich von Isabelle

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  4. Also.. ich kann mich an diese zwei warmen Mahlzeiten am Tag auch nicht wirklich gewöhnen - ich verzichte meistens darauf. Bei den (finnischen) Schwiegereltern gibts gefühlte 10.000 Tassen Kaffee am Tag (dazu eigtl immer Pulla) und zu jeder warmen Mahlzeit natürlich auch Ruisleipä und ein weniger später Dessert (jetzt v.a. Eis) und abends bin ich dann so voll, dass ich nur noch schlafen möchte xD.

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  5. Ich fliege am Donnerstag für vier Tage nach Helsinki und gehe am Freitag auf eine Party mit finnischem Essen und Getränken, bin schon gespannt. Auch ansonsten lese ich hier oder anderswo gerne mal ein bisschen über Finnland.

    Und Ansonsten klingen die vielen Mahlzeiten so als hätten die den Herr Tolkien bei seiner Beschreibeung der Hobbits ebenso beeinflusst wie die Kalevala :-)

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  6. 8:00 Frühstück (traditionell mit Haferbrei, Milch und Orangensaft)
    11:00 Mittagessen (warme Hauptmahlzeit, häufig Aufläufe, neuerdings auch viel Salat)
    14:00 Välipala, Zwischenmahlzeit (Brot, Joghurt, Früchte)
    17:00 Päivällinen (zweite warme Hauptmahlzeit, Aufläufe, Nudeln, Fleisch, Sosse, Kartoffelbrei, Reis o.ä.)
    20:00 Iltapala, Abendbrot (Schnitte, Joghurt, Früchte)

    Das wusste ich noch nicht. 5 Mahlzeiten, das geht wohl nur in Kälte und Dunkelheit. :)
    Mein Leben ist, nee, war eher französisch-mediterran geprägt, durch Eltern und dann später Ex-Mann. Die frühstücken traditionellerweise wenig und süß (Kaffee-Croissant), essen (wenn sie die Zeit dazu haben!) in drei Gängen und mit Wein zu Mittag (Wahnsinn, nach dem 1/2 Liter Roten gehen sie wieder arbeiten), wenn es werktags nicht die Zeit gibt, bleibt eben nur ein "sandwich au jambon" (Schinkensandwich mit Gürkchen) oder die "cantine", aber abends dann hoffentlich ein Essen mit Salat, Hauptspeise, Käse/Naturjoghurt, Früchten/Dessert. Zwischendurch gibt es nachmittasg ein "gôuter", v.a. für Kinder. Süß: Keks und Obst oder Nutellabrot oder pain au chocolat.

    Auch in Deutschland gibt es ja die Drei- höchstens Vierfaltigkeit der Mahlzeiten. Fünfmal essen - nicht schlecht! Und: ja, als Deutsche/r kann man sich ja immer mal wieder auf AbendBROT rausreden. :) Und braucht nicht zu kochen und sich damit finnischen oder mediterranen Traditionen zu unterwerfen. Allerdings wird das etwsa schwieriger, wenn man kein Fleisch/Fisch mehr essen will, wie ich jetzt. Aber auch zu bewältigen: Mit Käse, Gemüse, Gemüseaufstrichen.

    Gute Nacht!
    Emma

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  7. Milch: Genau das sagte mir meine Helsinki_Freundin auch letztens. Dass es ihr in H. mehr auffalle als in Deutschland, dass Männer Milch tränken. Ich mag Milch ja gar nicht, aber ich dürfte wohl auch Wasser oder Wodka trinken. :)

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