Freitag, 23. Dezember 2011

Zehn Jahre Finnland...

Ha, ich habe mich schon gewundert, warum ich diesem Herbst so viel nachdenke, grübele und Gedanken sortiere. Aber vielleicht ist es so, dass wir nach drei, vier stressigen Babyjahren, in denen wir nur von Moment zu Moment gelebt haben, jetzt erst Zeit haben zu reflektieren bzw. ich. Oder ich habe Midlifecrisis, wäre ja kein Wunder mit 36 Lenzen.

Aber heute ist der 27.12. Genau der Tag, an dem ich vor sage und schreibe vor zehn Jahren mit einer grossen Reisetasche und einem Caddy mit Lumi und Pedrita-Meerschwein am Hannoveraner Flughafen stand, um endgültig in mein geliebtes Finnland auszuwandern. Oder eher doch, um meine drei Monate Probezeit bei meiner ersten finnischen Firma anzutreten, um zu testen, ob es wirklich das Land meiner Träume ist (jaaaa!!!) oder ob ich sechs Monate später entnervt zurückkehren würde. Klar hatte ich da schon 9 Monate in Suomi studiert gehabt, von August 1999 bis Juni 2000, und danach monatelang geflennt, mein Zimmer mit finnischen Fahnen dekoriert und von tiefen Wäldern, roten Häusern, meinen Freunden und Ilkkas und Mattis geträumt - aber natürlich ist "auswandern" im 21. Jahrhundert nicht mehr das richtige Wort, weil man ja immer wieder zurück kann. Heh.

Nur dass einem mit Kind und Kegel irgendwann klar wird, dass es eben doch nicht so einfach ist, weder hin noch her. Wenn man kein richtiger Finn ist, schwebt über einem u.a. aufgrund der rudimentären Sprachkenntnisse immer das Damoklesschwert, dass man vielleicht irgendwann keinen Job mehr bekommt und zurück muss. Dazu kommt, dass es nach zehn Jahren immer noch unheimlich schwer ist, einen wirklichen Freundeskreis aufzubauen... irgendwie gehört man nie richtig dazu, auch wenn man noch so gut finnisch kann - oder Freundesbeziehungen hier sind anders, oberflächlicher oder die anderen haben eben schon andere, bessere Freunde, keine Ahnung. Oder man hat zuwenig Zeit, wohnt zu weit voneinander weg und telefonieren tue ich schon gar nicht gern. Männes Familie ist klasse, aber das sind keine eigenen Freunde, und sie sind auch entweder jünger oder älter und nicht in der gleichen Familiensituation. 

Männe ist okay, mein bester Freund, aber unsere Beziehung hat unter dem Kinderstress sehr gelitten, wenn es sie denn je wirklich gegeben hat *seufz* Wir machen erstmal so weiter, aber die richtige grosse Liebe, die ein Leben lang hält, habe ich mir anders vorgestellt. Es stimmt schon, dass man die gleichen Werte haben sollte... obwohl ich früher immer fand, dass wir fast zu gleich sind. Eher Mitbewohner und Kumpane als ein festgeschweisstes Paar. Oder es liegt an der kühlen Art der Finns, die nicht über Gefühle sprechen können, wenn sie sie denn überhaupt haben. Auch in meiner vorherigen Beziehung, die 9 Jahre dauerte, habe ich mich immer gefragt, ob es das ist, was ich möchte. Mr. Right eine Illusion? Wir wohnen auch immer noch nicht in einem schicken Holzhaus mit weissen Balken und einem Husky vor der Tür, wie man sich das so romantisch vorstellen könnte *garnichtdarandenkendarf*. 


Richtig Skifahren und Schlittschuh laufen kann ich auch immer noch nicht. Und dann - klar ist es total cool, Frida zu haben, ein eigenes Finnenkind *lach*, aber damals beim Absetzen der Pille habe ich natürlich nicht daran gedacht, was das für mich bedeuten würde. Ihre Welt ist in Finnland, sie spricht fast kein deutsch, und selbst wenn ich irgendwann beschliessen würde, mit ihr allein weiterzumachen, würden wir sicher in Jyväskylä oder Helsinki wohnen, weil sie ja den Papa regelmässig sehen möchte. Und weil es mir das Herz rausreissen würde, sie in ein anderes Land zu verfrachten. Mir auch, weil ich dann nicht mehr nach Finnland könnte. Und natürlich kann ich mir eher vorstellen, in Jyväskylä als in Sachsen-Anhalt zu wohnen. Oder gar in irgendeiner deutschen Grosstadt, da hatten wir ja schon einmal. Hin- und hergerissen also.

Nur meine Cousine, meine Tante und meine Eltern fehlen mir ziemlich, gerade jetzt im dunklen Winter, und die deutsche Herzlichkeit, das ehrliche "wie geht es Dir?", das In-die-Arme-Nehmen und Gequatsche über Gott und die Welt, nachdem man sich immer viel besser fühlt. Hier mauschle ich so viel für mich, auf der Arbeit, in meiner Familie und so weiter, man hat wenig Gelegenheit, sich etwas abzuschauen, zu vergleichen und zu lernen, und Gedanken auszutauschen. Oder mal auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, statt mitten im Gespräch einfach aufzuhören. Vielleicht ist das in den Familien einfacher, in denen beide Eltern aus dem gleichen Kulturkreis stammen. Obwohl ich mich da wieder wundern muss, wie sie mit der finnischen Umwelt klarkommen, mit Behörden, Gesetzen, Steuerdingen und so weiter... aber da kann man sich vielleicht zumindest zu zweit darin bestärken, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Oder man zieht halt irgendwann zusammen und  mit den Kindern woanders hin. 


Ich habe nicht wirklich die Entscheidungsmöglichkeit, aber andererseits möchte ich die vielleicht auch gar nicht so konkret haben *lach* Es wäre nur nett, wenn bei uns alles immer ordentlich wäre, wenn wir uns nicht ständig streiten würden, wenn ich einen lieben, aufmerksamen, grossen, blonden und hübschen Finn hätte, einen Hund, ein grosses Haus, einen richtig coolen Job, zwei heile Autos und zwei, drei süsse Kinder und ständig Gäste ein- und ausgehen und das Telefon klingeln würde. Aber vielleicht muss ich dafür selber mehr tun und nicht nur herumgrübeln.

Wahrscheinlich haben andere Familien ganz andere oder die gleichen Problemchen. Und wahrscheinlich wären wir am gleichen Punkt angekommen, wenn ich irgendwo in Düsseldorf oder Hintertucksdorf hausen würde, wenn ich einen der finniklichen Typen geheiratet hätte, in den ich vor elf, zwölf Jahren unsterblich verliebt war, oder wenn ich gar in Erlangen 'grusel* oder bei irgendso einem Bankspiesser gelandet wäre... huuaaah. Nein, ich habe es geschafft, in mein geliebtes Finnland zu ziehen, habe ein süsses, aufgewecktes Kind und einen anhänglichen Männe, spreche sogar fliessend finnisch, verdiene ganz gut, habe sogar ein eigenes Auto und für die ganzen anderen Dinge muss ich mich halt ein bisschen mehr anstrengen. Wer weiss, was in den nächsten zehn Jahren passiert. You never know.

3 Kommentare:

  1. Liebe Frida-Mama,
    Ja genau so ist es, (fast) jeder kennt das Gefühl... Und ich glaube: Wer sagt, er hätte diese Art von Einsamkeit nicht, der erzählt nur nicht drüber. Ich bin mit meinem Mann auch an einen Ort gezogen, wo wir keinen kannten... Seit 19 Jahren wohnen wir dort - und noch immer habe ich kein "beste" Freundin vor Ort. Es gab immer wieder welche, von denen ich dachte, es wäre die richtige - aber meist hatten sie kein Interesse - Sie HABEN ja schon ihren festen Freundeskreis und meist eben auch die Familie vor Ort. Und obwohl mein Mann und ich "nur" aus verschiedenen Bundesländern kommen, ist bei uns auch oft eine große Sprachlosigkeit. ICH empfinde es als innere Einsamkeit - mein Mann als "es läuft - wir STREITEN ja nicht". Männer sind so. Sie sind komplett anders als Frauen - und das Zusammenleben mit ihnen ist IMMER kompliziert! Bei Dir kommen halt noch die "finnischen Zusatzprobleme" dazu, aber das Leben HIER wäre nicht so schön problemlos, wie Du es Dir aus der weiten Ferne ausmalst... Auch hier kommen und gehen Beziehung, mit allen verbundenen Schmerzen.
    Auch hier müsstest Du Kompromisse eingehen, mit Mann, Kind, Freunden, Eltern (die auch it den Jahren echt nicht "einfacher" werden). Verzweifel nicht, genieße Dein Kind (die Zeit ist so schnell vorbei... Das ist echt kein Spruch), und beobachte Dich weiterhin gut, ob Deine Problem zu handhaben sind, oder ob sie Dich krank machen...
    Man kann sich an Sprachlosikeit gewöhnen und in guten Zeiten hinnehmen und akzeptieren - aber es wird immer zu "Rückfällen" mit tiefem Selbstmitleid kommen. Die Lebensstraße ist leider nicht eben...
    Du bist nicht alleine, Deine treuen Leser sind bei Dir und fühlen mit Dir.
    Ich wünsche Dir ein ruhiges, ausgeglichenes Neues Jahr!

    AntwortenLöschen
  2. Hallo Ausgewanderte,

    ich finde es klasse, dass du so ehrlich über deine Situation reflektierst-deswegen finde ich deinen Blog so erfrischend. Wie oben geschildert: Den meisten geht es doch mit ihrer Beziehung ähnlich, nur wird nicht darüber gesprochen oder die Dinge werden schön geredet. Und "beste" Freunde, auf die man sich verlassen kann, sind hier wie da schwer zu finden. Wenn man sich selbst anderen gegenüber mehr öffnet, kommt oft erstaunliches zurück und daraus entstehen dann echte Freundschaften. Ich bewundere deinen Mut und wünsche Dir und deiner Familie auch alles Gute fürs neue Jahr.
    Eine weitere treue Leserin.

    AntwortenLöschen
  3. Hi Finnländerin,

    ja, der fehlende Freundeskreis... Vielleicht hättest du ihn ja in Deutschland, den Kreis, aber es gibt auch in D viele einsame oder halbeinsame Leute.

    Sei es, weil sie wegen der Arbeit umgezogen sind, sei es, weil sie ein ganz anderes Leben haben als ihre ehemaligen Freunde (z.B. Kinderlose vs. Familien, Alleinerziehende vs. Singles)... Aber du wirst schon rechthaben, in Finnland (und im Baltikum) soll es ja wohl am schwierigsten sein, Kontakt zu finden und Freundschaften aufzubauen. Aber du hast die Familie Deines Freundes, das ist ganz viel, auch für Dein Kind, finde ich!! Und diese deutschen Mütter, von denen du mal geschrieben hast...

    Ich hätte auch gern alles immer ordentlich, hätte gern einen lieben, aufmerksamen, grossen, blonden und hübschen Finn (blond ist nicht wichtig :), einen Hund (oder zwei), ein grosses Haus (nee, lieber ein kleines mit Garten), einen richtig coolen Job (davon wage ich kaum zu träumen), zwei heile Autos (nee, hier in der Stadt ein ganz tolles Fahrrad) und zwei, drei süsse Kinder (hätte ich gern früher gehabt, jetzt muss das eine reichen) und ständig Gäste ein- und ausgehen (hm, ständig... aber vielleicht am Sonntag) und das Telefon klingeln würde (nee, lieber spontan vorbekommen).

    auch eine Leserin

    AntwortenLöschen