Samstag, 1. Oktober 2011

Klassentreffen...

Achja, der eigentliche Grund für unseren Deutschlandtrip war ja mein Klassentreffen! Im Sommer hatten die Jungs angefragt, und langfristig kann man ja selbst als Finn so etwas ganz gut eintüten. Zwanzig Jahre nach Schulabschluss, puuh. Also die Leute von der POS, meine DDR-Kindheit, die Klasse, die ich und ein paar andere Schlauberger ein halbes Jahr nach der Wende verlassen hatte, um ausnahmsweise nach der neunten Klasse fast panikartig aufs Gymnasium, äähm, EOS zu wechseln. Also eigentlich so, wie man das in Finnland ganz normal macht, nur das wusste ich damals natürlich noch nicht *lach*

Aufgeregt war ich natürlich, schon lange vorher überlegt, was man da so anzieht, was man erzählt, ob man es überhaupt zu etwas gebracht hat. Aber mit Entfernung und Familie und Reihenhaus und so habe ich es wohl doch ganz gut erwischt... dazu muss ich auch sagen, dass ich mich in meiner Klasse damals nicht wirklich wohl gefühlt habe... damals galt irgendwie nur der etwas, der die neueste West-Uhr, pinke Popelinehosen oder abgekaufte Bravo-Poster sein eigen nennen konnte, und nicht etwa eine etwas dickliche, an Biologie und Geographie interessierte Leseratte mit Bundfaltenhosen und im grünem Parka und so etwas. Am Gymnasium bin ich dann richtig aufgeblüht, habe endlich richtig gute Freundinnen gewonnen, meine Depeche Mode Phase ausgelebt, bin ausgegangen und habe den Kerlen nachgeguckt und dabei noch genauso wie die anderen gestrebt *hachja* bis meine dämliche Banklehre micht auf den Boden der Realität zurückgeholt hat *grusel*

Aber zurück - erst Edeka unsicher gemacht, die deutschen Lebensmittelpreise nähern sich langsam aber sicher den finnischen an - und dann geduscht und aufgebrezelt. Puuh, war ich aufgeregt. Dann standen sie da vor unserer alten Schule, lauter Mittdreissiger, richtige Frauen und Männer *lach*. Ich fiel erst meiner damaligen besten Freundin um den Hals, mit der ich vorher noch gemailt hatte,  und begutachtete dann die anderen. Hihihi, eigentlich sahen die noch genauso aus! Vor Freude (und von internationalen Studizeiten angehaucht), bin ich gleich den meisten um den Hals gefallen, nur zwei Kerle habe ich absolut nicht erkannt. Weia. Witzig, so alte Bekannte ganz neu zu sehen, sie neu in Schubladen zu packen, das gespeicherte Bild upzudaten sozusagen. Fast alle waren da, überraschend viele.

Dann Schule angeguckt, gelacht und gelabert, alte Geschichten ausgekramt, uns auf unsere alten Plätze gesetzt und Fotos gemacht. Unsere Lieblingslehrerin war auch gekommen, sie hatte uns Fünftklässler damals mit erst 22 übernommen, Wahnsinn, wie jung das ist aus heutiger Sicht. Danach latschten wir in die "Berge", zu Fuss und die ganze Zeit quatschend, klar. Wie auf dem letzten Klassentreffen schon, ist es faszinierend, dass auch wirklich die Leute noch zusammenhängen, die sich damals schon gut verstanden hatten. Und natürlich erinnere ich mich auch noch sehr gut an die, mit denen es immer wieder Krach gegeben hat - nur dass man als Erwachsener natürlich weitaus besser mit so etwas umgehen kann. 

Beim Essen kamen dann noch witzigere Geschichten. Fotos hatten die meisten auch mitgebracht: Kinder, Häuser, Boote und Autos, und dann tauchte auch noch unser altes kommunistisches Gruppenbuch auf. Ein Kleinod, ein Schatz, ein Gruselschriftstück - mit blassblauer Tinte und in krakeligen Buchstaben geschrieben, mit Fotos und Pionierbildern, mit Thälmann-Zitaten und knallroten Gedichten, die einem heutzutage gleichzeitig Lachtränen und blankes Entsetzen ins Gesicht treiben. Wir waren weitaus gehirngewaschener, als ich das in Erinnerung hatte. Aber es war damals normal, stinknormal, gehörte einfach dazu, und wir haben uns wirklich keine Bolle macht. Genauso automatisch, wie wir heute der Börse, den Amis und den Euronen folgen wie eine Hammelherde (sagt der Wirtschafswissenschaftler) =) 

Nachdenklicher wurde es dann schon, wenn die Jungs berichteten, wie sie stundenlang bekniet wurden, noch länger in der Armee zu dienen. Und erst die beiden, die vor der Wende in den Westen gegangen waren. Und der Fakt, dass unsere Kindheit im Herbst '89 brutal endete, obwohl wir uns alle soooo diese Veränderungen gewünscht hatten. Klar war damals der letzte Schrei, zur Martinikirche demonstrieren zu gehen, dort seine Freunde zu sehen, für die Altstadt und Londonreisen zu kämpfen, und endlich alles zu bekommen, was wir jahrelang nur im Fernsehen gesehen hatten, Walkmans, Persil und Monchichis. Ein halbes Jahr später war alles vorbei, Honni abgehängt, Grenze offen und wir Kinder in alle Welt verstreut - spätestens zwei, drei Jahre später, als es zuhause kaum noch Lehrstellen und Arbeit gab. 

Aber inzwischen sind alle angekommen. Im Emsland, im Ruhrgebiet, in Finnland, in Hessen und vor allem in Niedersachsen, aber auch unglaublich viele in unserem alten Städtchen. Ein bisschen Wehmut bekommt man dann schon - die Familie in der Nähe - aber dann würde ich ja mein Finnland, meine irren finniklichen Freunde und Mikas ganze Familie verlieren - nee, das geht auch nicht. Und es machte Spass, von meinem nordischen stinknormalen Frostleben zu erzählen =)







Je später der Abend wurde, umso lustiger auch die Gäste. Ich freute mich, dass auch die Jungs damals gemerkt hatten, dass wir Mädels uns ständig in den Haaren lagen. Dass sie immer noch so lieb sind. Ich lachte mich über das Gruppenbuch und unsere Klassenfahrten kaputt. Schnipsel für Schnipsel kam zusammen, Ausflüge und Geburtstagsfeiern und abgefackelte Klassenbücher, man gestand sich alte Schwärmereien und fing plötzlich an, über die furchtbaren Monsternervkinder zu stöhnen, über die Eile auf der Arbeit, über frühe Morgende, zu betreuende Eltern, über Hausbau, Hunde und Katzen, Männer und Freundinnen - über alles, mit dem man eigentlich vielleicht nur mit Brüdern und Schwestern spricht. Fand ich zumindest.

Und auf einmal waren die zwanzig Jahre wie verschwunden... und mir wurde klar, wie nah wir uns eigentlich waren, wie gut neun Jahre gemeinsame Schulzeit tun, auch wenn es oft Krach und Tränen gab. Aber das ist wahrscheinlich in einer grossen Familie so. Und mit einer gemeinsamen Vergangenheit. Und um auf Finnland zurückzukommen - genau das ist es, was mir hier im Ausland oft fehlt: richtige Freunde, mit denen man eine gemeinsame Vergangenheit und gemeinsame Themen hat.

So wie Männe das ganz selbstverständlich hat. Also vielleicht nicht alle richtige Freunde, aber zumindest ganz alte Kumpanen. Aber ich weiss ja jetzt, wo die alle wohnen =) Friends are like stars, they are always there even if you don't see them. Oh, und natürlich können auch Deutsche feiern. Bier und Wein bis zum Abwinken und um 3 Uhr morgens zu Fuss nach Hause... kommt  mir irgendwoher bekannt vor *lach* Schön war's. Und irgendwer bemerkte ganz beiläufig, dass man damals niemals nicht nach Finnland gekommen wäre. Stimmt. Unglaublich. Fast vergessen. Uff.

1 Kommentar:

  1. Scheinst ein schönes Klassentreffen gehabt zu haben! Ich hab mein letztes verpasst (5jähriges - immerhin ^^), da man es ziemlich kurzfristig um die Weihnachtszeit (logischerweise, weil da die meisten dann "zu Hause" sind) geplant.. zu schade. Beim nächsten kann ich hoffentlich dabei sein :).

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