Bei uns steht schon wochenlang im Kalender, dass wir zu Ostern "remontti" haben, also endlich unser Wohnzimmer renovieren wollen. Das hat nämlich immer noch die hässliche melierte Tapete, die unsere Wohnungsgesellschaft Anfang August angeklebt hat, nachdem wir vier Wochen lang darauf gewartet haben, dass sie die karierten und gestreiften Tapeten der Vormieter durch die in den Papieren vorgesehene weisse Wandfarbe ersetzen *örks* Nach dem Malern von zwei Schlafzimmern und dem Umzug waren wir dann so fix und foxi, dass wir das Wohnzimmer auf "irgendwann später" verschoben hatten.
Heute dann also volle Kraft voraus. Erstmal natürlich ausschlafen. Dann Frühstück (äähm Mittag), weil es schnell gehen sollte, den typisch finnischen Haferbrei aus der Instanttüte, der nur mit Wasserkocherwasser aufgegossen werden muss. Männe angelte natürlich noch die halbmeterlange Läbärvurst aus dem Kühlschrank, die Frida gestern unbedingt kaufen wollte. Dann alte Jeans an und los - nein, erst lange Diskussion mit Männe und Frida, weil Frida ja gar keine "alten" Sachen hat, sondern nur zu kleine - letztendlich fand sich dann doch eine nach Mamis Meinung ausgeleierte Jogginghose und ein halbzerledertes Prinzessinenshirt (neein, das ist nicht oll!!! *kreisch*)
Küchentisch zur Seite geräumt. Frida wollte raus... also erstmal Tür auf und festgestellt, dass die Schweinies auch raus könnten - und Schweinies in den Garten. Frida barfuss raus, also erstmal Turnschuhe geholt. Wasser an der Wand inzwischen wieder getrocknet. Männe war inzwischen wieder mit irgendwem am Telefon. Weiter nass gemacht und abgerissen, zur Not allein, ging ganz gut. Kind wieder rein "Mami, komm, gucke mal". Okay, was denn? Ah, ein Hund da draussen. So ein Puschelohrpudel von der Hundefutterpackung, süss. Hoffentlich springt der nicht über den extrem niedrigen Zaun. Wieder rein. Katzen miauen. Achja, die haben ja auch noch kein Futter.
Ouni kratzt auf dem Fussboden. Mist, Katzenklo ist auch noch nicht sauber gemacht, weil ich ja nach dem Zähneputzen erstmal die Waschmaschine vollgestopft hatte. Frida schreit "Mama, mein Bett ist nass!" Klar, Katze (wenn ich nur wüsste, welche!!!) hat vor Wut auf die Decke gepinkelt. Kam schon wochenlang nicht mehr vor, aber irgendwann ist ja immer der Tag. Decke ins Bad geschmissen, wieder zur Tapete. Super, unter der Vermieter-Tapete klebte noch die Vormieter-Tapete (in der Hektik sagte ich zu Mika, die Tapete des Nachbarn, worüber der sich bis zum Abend scheckig lachte), aber darunter kam glatte weisse Farbe hervor. Dann sieht man ja gleich, wie ganz-in-weiss- aussehen würde, toll.
Frida spielt und liest, trägt Zeug rum, kletter und hüpft und macht Unordnung und nervt alle zwei Minuten, dass wir mit ihr spielen sollen (Einzelkind!). Laden spielen und Malen und Kleben und so. Das machen wir auch abwechselnd, aber natürlich soll immer gerade der andere Elter kommen. Und natürlich hat sie keine Lust, beim Tapetenabreissen zu helfen (ich habe das als Kind geliebt...) und die Klappe kann sie auch nicht für eine halbe Sekunde halten *seufz* Aufs Klo und rein und raus und Chaos überall, wie immer. Gestern stand übrigens in der Zeitung, dass frühgeborene Babys häufig zu ADHD-Kindern werden, aber ich habe da so meine andere Theorie... die haben nämlich im Bauch schon so gerappelt, dass die das keine Minute länger da drin ausgehalten haben *lach*
Draussen fahren die Nachbarskinder Fahrrad. Frida will auch. Mama ist froh, dass wir vielleicht eine halbe Stunde Zupfzeit gewinnen könnten, holt die wasserfeste Hose und die Jacke (Frida zieht sich in Windeseile selbst an!) und das blaue Laufrad. Neeeeein, nicht das, ich will das grosse Fahrrad! Was, das richtige? Nee, das geht nur, wenn ein Erwachsener mitkommt. In Gedanken sah ich schon meine Kleine zwischen lauter Autos quer durch Palokka radeln... Geheule und Auf-die-Knie-Werfen "Doch, aber ich darf!" Nein, darfst Du nicht, Du bisst doch noch viel zu... äähm... das kleine ist doch viel schneller!" Papa kommt und sagt, dass Frida schon einmal allein mit dem grossen Rad draussen war und die Kinder tatsächlich nur auf dem Hof fahren. "Ja, stimmt das?" Ja, stimmt. Also glückliches Kind mit Rad raus und mit Jere, Venla und Saana um die Wette gefahren. Super!
Mama macht vorbeugend Mittagessen, ähhm päivällinen um 16 Uhr. Statt Karfreitagsfasten gibt es heute schon Lammbraten, den ich intelligenterweise in Scheiben geschnitten und nur ganz kurz gebraten habe, sehr lecker. Für Frida und Mika mit Sosse, dazu Couscous, Zucchini und Männes Jamie Oliver-Salat =) Es klingelt, glückliches Kind ist fertig und kommt wieder rein. Mama schlägt vor, dass Papa mit Kind statt Tapete Salat zupft. Vorbeugend, damit sie zumindest nicht aus Hunger ausflippt. Und damit wir was zusammen machen. Trotzdem: alles geht immer eine Minute gut, dann gibt es Trara wegen irgendwas. Mein Temperament plus Männes Maulerei zusammen ist wirklich keine gute Mischung...
Frida isst zwei Teller Couscous mit Sosse, schenkt das Fleisch Papa und die Zucchini der Mama. Beim Essen muss natürlich zehnmal aufgestanden und herumgerannt werden, so dass wir eigentlich nur am Schimpfen, Festhalten und Fast-ausrasten sind. Nichts mit geruhsamen Mahlzeiten in dieser Familie - komischerweise kann Tiita am Tisch bei Laura angeblich wie festgeklebt sitzen, während sie bei uns kniet und steht und läuft und kaspert und was weiss ich. Dabei weiss sie, dass es viel harmonischer ist, wenn sie mal artig ist... aber die Gefahr, dass ich mich mit Mika streite und rumbrülle wächst immer proportional zu ihrem Herumgehucke, und dann braucht man sich nicht zu wundern, dass das Kind noch verrückter wird.
Oh, Fridas Patenonkel kam übrigens auch vorbei, aber er wollte sich nicht zu uns setzen, weil er gerade anderswo gegessen hatte (in D hätte man aus Höflichkeit *lach*). Frida beruhigte sich ein bisschen, weil sie zu Anfang schüchtern war, las sogar ein Buch mit Mama auf dem Sofa, aber dann ging das übliche Wochenend-Abdrehprogramm weiter. Zweite Wand. Mami zupfte, Männe verschwand im 10-Minutetakt zu seinem Kumpel, um Videos zu schneiden. Mami füllte die Spülmaschine. Frida maulte und stänkerte. Wenn man ihr was zu tun gab, artete das auch nach wenigen Minuten in Streit aus... Tapetenreste in Schüssel getaucht und dann Schüssel mit Kleistersosse auf den Boden gekippt *yesss*, barfuss draussen, ohne Hose draussen, Filzstift auf den schneeweissen Ikea-Tisch usw. Beim Mensch-ärger-Dich nicht hat Papa die falsche Farbe und der Würfel rutscht zu weit weg usw.
Wir spielten immer wieder mit ihr, aber egal was, sie stänkert, wenn sie zuhause ist und kann auch nicht eine Sekunde etwas in Ruhe machen. Arrgghh. Und Mama dreht aufgrund der Hektik ab, kann sich überhaupt nicht mehr konzentrieren und kommt sich vor wie Sysiphus, der ständig die gleichen Sachen wegräumt, Streit schlichtet, Männe antreibt, Frida beschäftigt, Stories mit halbem Ohr anhört und von morgens bis abends irgendwas sucht, was gestern noch da war. Kein Wunder, wenn man dann keine Zeit zum Spielen hat. Hamsterlaufrad hoch drei.
Ich schreibe das jetzt nur, weil ich schon ewig lange nicht mehr geschrieben habe, wie hektisch und schlechtgelaunt unsere Maus zuhause ist - nur um dann abends oder zwischendurch wieder die Mama und den Papa ganz fest in den Arm zu nehmen und zu sagen "Du bist mein Freund". Oder ganz unschuldig um Entschuldigung zu bitten oder zu sagen, dass es nur aus Versehen war - und dann wie aufgezogen weiterzumachen. Zwilling, Schatz und Teufelchen in einer kleinen Person... und anderswo ist sie ein ganz normales, liebes kleines Mädchen, oder?
Ich selbst nehme sie eigentlich so hin, wie sie ist- Bin nur genervt, wenn es absolut zu viel ist (und gebe mir die Schuld) und versuche sie zu beruhigen, so gut es geht, aber bei Männe ist es schon so, dass er bestimmte Dinge einfach nicht akzeptieren kann, er ist enttäuscht über ihre Huschigkeit und Unausgeglichenheit und man merkt oft, dass er heilfroh ist, wenn die Kleine unterwegs oder bei Laura ist oder bei Mummo mit ihrer Cousine spielt. Was ich noch schlimmer finde, weil sie ja nichts für ihr Temperament kann. Er muntert sie auch eher auf, spornt sie an, statt sie zu beruhigen, in den Arm zu nehmen und herunterkommen zu lassen, keine Ahnung, wie ich das sagen soll. Dafür freut sie sich aber auch so wie kein anderes Kind, tobt und lacht gern, kann sanft sein und hat unglaubliches Mitgefühl, je nach Anlass und Gemütslage.
Wir kommen besonders gut klar, wenn wir zu zweit irgendwo sind oder wenn Frida und ich einen Abend nur alleine und ganz zuhause verbringen. Bei Männe ist es genauso, als Kumpel ganz allein klappt es. Aber auch dann geht es - wie seit Babyzeiten - nicht ohne zwei, drei Kreisch-, Strampel-, Haarezieh- oder sonstige Ausraster. War gestern besonders lustig, als sie vor den Augen der Nachbarn ihrer Mom draussen das Gesicht zerkratzt und an den Haaren gerissen hat... Und wie als Baby kann sie sich abends nicht langsam runterfahren, sondern tobt und tobt und schläft nur ein, wenn man sie im Arm hält und sich totstellt. Irgendein Mechanismus fehlt da... und es ist nicht nur, wenn sie Hunger hat oder müde ist. Man muss sich natürlich ganz viel Zeit nehmen, aber auch das hilft nicht immer. Nur nach ihrer Nase geht auch nicht. Und irgendwer muss ja noch Essen kochen, aufräumen und so weiter... und je mehr sie abdreht, umso weniger Zeit haben wir ja *seufz*
Aber eine Erlösung wartete wieder vor der Tür. Männe war im Speicher und dann wollte Tiita draussen bleiben. Okay, Sandburgen bauen, und das ganze zehn Minuten ohne Eltern. Super, wieder ein Quadratmeter Tapete abgerissen. Da draussen sass sie ganz lieb beim Kuchenbacken *herzaufgeh* Dann bimmelte es und wir sollten abwechselnd gucken kommen. Ist okay, gern. Mika und dann ich und dann wieder andersherum. Inzwischen hatte Männe auch sein Zimmer aufgeräumt und noch einen Kubikmeter Dreckwäsche ins Bad geschmissen *aarggh* Tapete immer noch an der Wand. Und die Waschmaschine war fertig. Steckdose ging nicht ab, mach mal frau selber. Lappen weg. Und die Kerle fachsimpelten, statt mal eine halbe Stunde lang zusammen Papier von der Wand zu reissen. Also Mama stinkwütend und türenknallend raus. So wird das nie was.
Draussen Sonne und Sand angeguckt und vorbeigehende Hunde und Wind um die Nase wehen lassen und besser ging es. Ganz ruhig bleiben. Frida war auch friedlicher, weil sie wusste, was in der Luft lag. Dann kam ein ungefähr sechsjähriges Mädchen, was ich hier noch nie gesehen hatte. Frida lachte sie gleich an (deutsches Kind!) und sagte zur Mama "Voisitko tuoda ne kivet weg?" Kannst Du bitte mal meine Steine reinbringen? Frida sammelt Steine.. und das war eine gute Methode, die Mama loszuwerden - selbst Frida hat schon gemerkt, dass die anderen Kinder superschüchtern sind, wenn Erwachsene dabei sind =) Ich glaube, die sind erst hergezogen und das Mädchen hat auch keine Geschwister... in der Woche hatte Frida schon von einer "neuen Freundin" gesprochen. Super!
Also Mama rein, mit Männe und Teemu Quatsch gemacht, in Ruhe Kaffee gekocht, Pulla in den Ofen geschoben, nebenbei den Kofferraum von Henry Ford saubergemacht...bis eine kleine, gutgelaunte Maus in roter Jacke angerannt kam. Ich war dann auch nicht mehr sauer, als Mika von seinem Sonnabendbier zu reden anfing. Im Gegenteil, wenn die Kerle ein bisschen zupfen würden, könnte ich zu ABC fahren - und vielleicht sogar meine kleine Tiita mitnehmen, damit sie ihre Ruhe hätten. Gesagt, getan. Die Maus zog sich an, sagte "tschüss" und kam mit. Unter Mädels war es diesmal sogar richtig friedlich. Und die Mama guckte leicht sehnsüchtig die vielen Jugendlichen an, die frei und froh und mit dem ganzen Leben vor sich vor der Raststätte herumstanden. Vier Tage frei ist für finnische junge Leute das Paradies, und das auch noch bei der Frühlingssonne... terassikeli so to say =)
Komisch, wie lange ich von einer richtigen finnischen Familie geträumt habe und jetzt wünsche ich mir oft mein Singleleben zurück, mit eigener Bude, nur eigenen Sachen, meinem Hund und gaaaanz viel Zeit für alles mögliche. Aber wahrscheinlich kommt das eher wieder, als ich mir vorstellen kann. Wie gesagt, jetzt mit fast vier kann Tiita schon alleine draussen spielen. Wahrscheinlich ist das die entscheidende Stunde am Tag, die es möglich macht, die Alltagsarbeiten zu erledigen und dann haben wir wirklich Zeit für den Zwerg.
Ich habe tatsächlich fast zehn Jahre lang Eltern gelesen und weiss, dass wir selbst Ruhe und Frieden brauchen, weniger Stress und weniger Streit - nur in der Praxis ist es schwer, wenn drei Leute ständig in drei verschiedene Richtungen ziehen. Ich weiss, dass zwei und mehr Kinder sich gern untereinander in den Haaren haben, aber es wäre vielleicht schon besser gewesen, wenn wir gleich 2008 noch so einen Rüpel gebastelt hätten *lach* Zumindest ein Spielkamerad, der immer da ist, so wie das bei vielen befreundeten Familien ist, in Finnland sind 3-4 Kinder sehr normal. Aber vielleicht reichen auch die Nachbarskids.
Warum ich das schreibe... einmal gebloggt sind die Gedanken und Frustration aus dem Kopf und morgen geht es neu weiter. Mit Stress und Hektik und Zank und kleinen Momenten voller Freundschaft. Übrigens wusste ich schon, warum wir am Donnerstag weder Farbe geholt noch heute früh auf Männes Wunsch Aquarium und Fernseher abgedeckt haben... ich hatte schon geahnt, dass das Projekt zu dritt wieder wochenlang dauern würde *lach* Nach eineinhalb Tagen erst eineinhalb Wände ohne Tapete *hallelujah*
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