Samstag, 16. Oktober 2010

Rote Couch...

Also da holt einen das Finnendasein doch noch ein. Angeblich sollen sich eingewanderte Ausländer hier nach spätestens vier Jahren mit sämtlichen Allergien herumschleppen, weil der Übergang vom fast keimfreien, knitterkalten Winter zum pollenübersähten Sommer so krass ist, oder weil man halt mit sämtlichen Errungenschaften des Westens, wie Konservierungsmitteln, Farbstoffen und Handywellen überzuckert wird. Keine Ahnung, ob das stimmt.

Fakt ist aber, dass die Finns überdurchschnittlich depressiv sind, was ja immer auf die halbjährliche Dunkelheit geschoben wird (hei, in meiner deutschen Kleinstadt ist es weitaus finsterer als hier in Jyväskylä, egal zu welcher Jahreszeit, haha) Und Fakt ist auch, dass meiner einer am Donnerstag tatsächlich bei so einer Psychotante war. Nur, dass die blaue weiche Sessel anstatt eines roten Sofas hatte. Und ganz unbegründet war das auch nicht, auch wenn ich hier locker vom Hocker darüber schreibe.

Seit letztem November diese dämlichen drückenden und brennenden Oberbauchschmerzen, die inzwischen sogar das Brustbein betreffen, und seit dem Sommer dazu ständig schlechte Laune (kein Wunder), gedankliche Abwesenheit, fast Panikattacken und überhaupt keine Stressresistenz, besonders nach unseren Urlauben. Nur raus und nach hause und allein sein und dann doch wieder nicht. Keine Ahnung, was zuerst da war, erst dieses Gefühl in der Brust oder zuerst diese Rastlosigkeit.

Gut, man hat inzwischen Gallensteine diagnostiziert und das soll ja auch operiert werden. Aber ob das die ganze Erklärung ist? Am eigenartigsten ist nämlich, dass alles okay ist, wenn ich irgendwo anders bin (Stichwort: Litauen und Holland...), wenn wir bei Freunden zu Besuch sind oder wenn ich ansonsten genug um die Ohren habe, interessante Projekte bearbeite, lese oder im Internet surfe. Tiitas ständiges Gemaule, ihre Fragen und Rumhippelei, und Männes Schweigerei und dämliche Antworten bringen mich dagegen zum Wahnsinn, und sofort tut dann alles wieder weh.

Arbeit ist manchmal okay, manchmal nicht, im Bett liegen ist manchmal okay, manchmal nicht. Klar liegt es auch daran, was ich esse, aber auch nicht immer, siehe Auslandsaufenthalte, wo ich erst vorsichtig wie ein Spatz genascht habe, aber dann sogar richtig essen und zwei, drei Gläschen Wein schlürfen konnte. Freunde sind okay, besonders die netten und geselligen Germanen, Spielgruppe macht Spass und wir waren am Sonnabend auf einer superlustigen Einweihungsparty - ist alles okay.

Aber kaum esse ich mehr als eine Schnitte, kaum etwas fettiges und kaum komme ich in unser vermülltes Zuhause, ärgere mich über Männe und flitze herum wie eine angestochene Putzfrau - schon knüllt sich im Magen alles zusammen. Und ich liege stundenlang wach, friere, stosse auf, renne aufs Klo, trinke was, esse was, schlucke vorsichtig, probiere Samarin und Magentabletten und Artischockensaft... will eigentlich nur meine Ruhe haben, endlich mal eine Woche ganz allein zuhause oder ganz woanders oder so etwas ähnliches. Dann wieder gar nichts, ganz normal, ich wundere mich, was am vorigen Tag los war. Komisch, oder?

Dabei ist es wahrscheinlich schon seit Fridas Geburt diese Rastlosigkeit, die auch sie total hibbelig gemacht hat. Wie oft waren wir denn zuhause? Nur von einem Babycafé ins andere gerast, damit mir ja nicht zuhause die Decke auf den Kopf knallte - und dann träume ich nach wie vor von gut eingerichteten, schnuckeligen Wohnzimmern a la Talo & Koti, von Gartenarbeit und Vorlesestunden auf einem kuschligen Sofa. Nix da. Nelsons Abschied ist auch noch da, er hat früher die Familie besser zusammengehalten.

Männe gibt sich vielleicht Mühe (nee, eigentlich doch nicht), aber ich fange doch jeden Tag mit der selben Meckerei an. Ignorieren ist auch schwer... und Tiita tue ich unrecht, wenn ich so eine genervte Zicke bin. Aber wenn halt da im Bauch alles verknotet ist und wenn sie nicht mal eine Minute ruhig sitzen oder ihre kleine süsse Schnute halten kann... aarrgggh. Jedenfalls wird jetzt auf leichte Depressionen behandelt, zumindest solange die Steine da nicht raus sind und so lange alles total chaotisch ist.

Vielleicht hilft es auch, jemandem mal alles erzählen zu können. Wo Mika immer nur mit "hmm" antwortet, seine Eltern das gleiche, und bei Familie und Freunden will ich gar nicht von Stress oder Geld oder ähnlichen Sorgen anfangen, sonst gehen die uns auch noch aus dem Weg. Davon abgesehen, dass ich eh dazu neige, entweder aus allem eine lustige Story zu machen oder gleich ein furchtbares Drama mit Tränen und so. Genau wie meine Tochter übrigens =)

Praktische Sachen sind jetzt, dass Tiita wirklich im eigenen Bett und eher als wir schlafen soll, so dass ich abends mal "runterkommen" kann, ausserdem wird die Kleine wohl öfter mal mit Papi allein auf den Spielplatz oder zur Oma müssen, und irgendwie müssen wir unsere Bude mal mit Gewalt unnd endgültig in einen vorzeigbaren Zustand bringen, so dass wir Gäste einladen können und damit ich nicht wenigstens von den herumliegenden Tüten und Kisten voller "diverser Sachen" genervt bin. Wie gesagt, manchmal ist tagelang gar nichts, aber dann knallt wieder alles total zusammen. MMmhhh.

Ansonsten hat das Ganze auch positive Nebeneffekte: Sannesuse hat 9 Kilo abgenommen, yeeaaah, also Stand von Weihnachten 2003 und damit im zweistelligen Bereich *wiegeilistdasdenn*, ein paar alte Jeans passen wieder und die Haare sehen blond, glatt und ganz toll aus, weil ich einer Media-Markt-Verkäuferin in HBS Glauben geschenkt habe, die mir einen superteuren Bürstenfön (heisst das so?) verkauft hat. Wir haben ein tolles Haus bekommen, viele nette Leute besucht (im Herbst blühen sämtliche Kontakte wieder auf) und zwei ganz nette Hunde kennengelernt.

Ich habe nen witzigen Russischkurs und einen Mann, der ganz lieb mit Frida kaspern kann und mich wohl auch trotz allem ganz nett findet, eine total kreative und schmusige Prinzessintochter, Oma und Opa per Telefon, und die anderen Grosseltern, Tanten und Cousinen in 15 min Entfernung, zwei Katzen, die schon eine Woche lang nirgends mehr hingepisst haben, fünf biomüllfressende Meeris, ein funktionierendes, nur leicht verrostetes Auto und 299 Facebookfreunde, einen sehr interessanten Job, einen grossen Garten, einen coolen Blog und jetzt sogar einen guten öffentlich-finanzierten Arzt und ne Psychotante. Und gerade keine Bauchschmerzen. Nicht schlecht, oder?

Achja, und die Frau meinte, ich solle aufschreiben, was mir so im Kopf herumgeht. Bloggen zum Beispiel =)

3 Kommentare:

  1. Hey Du... ich hab das mit den Gallensteinen hinter mir und auch noch ewig aufgeschoben... aber glaub mir, danach wird alles besser! Die Symptome kommen mir jedenfalls bekannt vor und heute geht's mir sooooooooooooooo gut!
    Viele Grüße und schön weiter bloggen!

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  2. Du "schupfst" einfach so viel alleine... Aber erstmal raus mit den blöden Steinen (bei meiner Freundin war´s so eine KnopflochOP, da sieht man auch im Bikini fast nix davon) und wenn dann auch noch das alte Haus verkauft ist, wird´s auch wieder leichter, bestimmt. *festedaumendrück* Dann kannst du auch die neue Bleibe besser genießen, die Fotos von Fridas Zimmer usw sehen richtig schön aus.
    LG, M samt M´s

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