Drei Tage Geschäftsreise in Litauen und es war so schön! Entgegen aller Befürchtungen habe ich unser Krawallkind und meinen Meckermänne überhaupt nicht vermisst, sondern die halbe Woche "nur ich selber" total genossen. Hach, war das schön und abenteuerlich, genauso wie mein Leben Anfang der 2000er. Donnerstag ganz früh bei minus 3 Grad und zugefrorenen Autoscheiben (wir haben einen sagenhaften Temperatursturz!) mit dem Taxi zum Tikkakoskier Flughafen gefahren. Dann im knackevollen Finnairflieger nach Helsinki gedüst, dort die Läden unsicher gemacht und Frühstückspulla mit heissem Kaffee heruntergespült und dann weiter nach Vilnius. Auf in ein weiteres osteuropäisches Abenteuer, als Kind habe ich ja glücklicherweise mit Mama und Papa schon fast alle Staaten des Warschauer Vertrages abgeklappert =)
Heutzutage muss man da ein bisschen mehr aus sich aufpassen, also alle Geldtaschen, Kameras und Handys sicher verstaut, alles gut durchgeplant und nicht allzu unsicheres Gesicht gezogen. Aber Quatsch, die Litauer hatten alle weitaus bessere Geräte als ich. Ausserdem habe ich mir eh angewöhnt, nur in Studentenkluft, mit zerissenen Jeans und uralten Rucksäcken zu verreisen, so dass gar keiner erst auf die Idee kommen könnte, mich auszurauben. Klar, ne olle halbkaputte 5 Jahre alte Kamera hätte ich denen gleich in die Hand drücken können, die hat nämlich auf der Reise endgültig ihr Leben ausgehaucht.
Aber weiter... meiner einer wollte nicht mit dem Taxi ins Zentrum, sondern unbedingt den erst 2008 eingeweihten öffentlichen Shuttle benutzen. Ganz allein im strömenden Regen die hundert Meter Überdachung zur Bahnstation gelatscht, die hypermodernen Anzeigen und den gläsernen Fahrstuhl bestaunt und dann in die superschicke und ganz leise Bahn eingestiegen. Von dessen Fenstern man dann renovierte und blitzneue Firmen und Gebäude neben den typischen halbverfallenen russischen Industrie- und Wohnruinen sehen konnte. Wie ich diese Kontraste liebe! Wie zuhause... ganz schick neben ganz kaputt und nichts dazwischen. Und genau die gleichen weichen Bäume und wucherndes Unkraut wie in deutschen Landen, hihi. Europa halt im Gegensatz zum schroffen Norden.
Am Vilniuser Bahnhof drei Runden gedreht, Klo gesucht, Märchenheft und Kühlschrankmagnet gekauft und dann Busbahnhof gesucht. Netterweise war der genau gegenüber. Tickets gab es bei "kasos", gar nicht schwer, und der Onkel verstand sogar, wie ich Druskininkai aussprach. Super, ich reise so gern auf eigene Faust und bin dann immer ganz stolz, wenn wieder etwas geklappt hat, ohne dass irgendjemand englisch kann. Übrigens klingt litauisch wirklich verdammt russisch, auch wenn die Sprachen überhaupt nicht verwandt sind und geschrieben völlig anders aussehen. Genauso weich, tief und gutteral, aber man entdeckt darin halt keine bekannten Wörter sondern hin und wieder ganz eigenartige Endungen. Und alle Balten sprechen fliessend russisch... da bin ich als Ossi richtig neidisch. Nach 8 Jahren Russisch in der Schule (und ich war ein guter Schüler!) kann ich immer noch keinen ganzen Satz sagen *grrrr* Aber es fehlt einem ja auch total an Übung.
Bussteig schliesslich gefunden, eingestiegen, sms an Männe geschickt und dann kam auch schon der erste Kollege, ein ganz netter älterer Schotte plus estnischer Freundin. Nach zwei Stunden Fahrt durch Wald, Dörfchen und Felder, mit vom Sturm ganz schlimm abgeknickten Bäumen an der Seite, landeten wir in Druskininkai. Ein Ferienresort mit vielen Sanatorien ganz nahe der weissrussischen Grenze. Neu neben alt, wunderschöne Holzhäuschen und super gepflegte Gärten und riesige Parkanlagen - und kein Mensch auf der Strasse. Genau wie in Vilnius, kaum Leute da. Ganz anders als z.B. Sankt Petersburg, wo man geradezu überrannt wird von den vielen Leuten und Autos, vom Lärm der Grosstadt. Gerade deshalb liebe ich auch meine Arbeit, man kommt in Gegenden, in die es sonst keine Mainstreamtouristen verschlägt =)
Die beiden nächsten Tage waren dann von der Konferenz geprägt, allerdings war ich diesmal nur Teilnehmer und musste gaaar nichts organisieren. Sehr erholsam. Mit alten Kollegen gealbert und schottischen Whisky getestet, das superlangsame Hotelrestaurant ausprobiert, riesige rote Koi-Fische beobachtet, mit neuen Leuten abwechselnd finnisch, russisch, deutsch und englisch gefachsimpelt, so gut es ging, spontan eine kleine Rede vor 180 Leuten gehalten und bei allen anderen Vorträgen fleissig mitgeschrieben, damit die verkaterten Augen nicht ganz zufallen. Verblüffend, wie viel Russisch man versteht, wenn man genug davon hört, das Langzeitgedächtnis funktioniert also doch noch irgendwie.
Einen sowjetischen Skulpturenpark haben wir auch besucht. Eigenartig, unsere völlig verdrängte und verwischte Vergangenheit wiederzusehen, etwas was wir in Ossiland natürlich noch viel mehr leugnen als die Balten es je wieder können. Sie haben die Russen sicher noch viel mehr gehasst als wir, und doch waren sie sehr viel länger und enger an das Sowjetreich gebunden als die DDR. Und doch waren sie unsere Freunde und alles ganz normal. Stolz und Wehmut und Wut und Nostalgie auf einmal... gross war die Freude über die verkleideten Soldaten der Roten Armee, die Oktoberkinder und der KGB-Tante in Lederjacke, gegrinst habe ich und gesagt "Ja iz GDR" und gleichzeitig rutschte aus alter Tradition die Angst in die Hose. Genickt und gelacht, während mein gleichaltriger estnischer Kollege mir erzählte, wie er sich damals geärgert habe, als sämtliche Kindersendungen für eine Woche gestrichen waren, als der olle Breshnew beerdigt wurde. Ja, eine bunte Vergangenheit haben wir! 20 Jahre her und doch gerade gestern und man weiss nicht, ob man darüber lachen oder weinen sollte. Aber die Balten wissen zumindest, wovon man redet.
Abends hatten wir auch immer ein tolles Programm. Entweder im Hotel, wo nach einer Stunde die Getränke, nach zwei Stunden das Essen und nach drei Stunden die Rechnung kam *ggg* Oder ganz offiziell eingeladen in einem wunderschönen Restaurant am Flussufer. Das bei Preisen, die wie finnische Euro aussahen, aber doch durch drei zu teilen waren. Ein riesiges Schwimmbad, Wellnesszentrum und viele Saunen gabe es im Hotel auch, aber natürlich blieb dafür keine Zeit. Vielleicht mal mit der ganzen Familie. Obwohl ich es inzwischen total witzig finde, wie man sich mit Leuten über seine Kinder unterhält, mit denen man früher eigentlich eher ganz andere Sachen im Kopf gehabt hätte. Mann mann, komisches Alter. Getanzt haben wir und einem Zauberer zugeguckt und ganz tolles Essen mit Wein und lokalen Drinks genossen und Flamencotänzer bewundert und dann kam auch noch Freddy Mercury... witzig, witzig und so schön. Wobei mir irgendwann wieder der Gedanke kam, dass vielleicht auch mein finnisches Studienjahr nur so superschön war, weil wir die ganze Zeit mehr oder weniger angeschickert und am Feiern waren, hahaha.
Jedenfalls habe ich wieder sehr viele neue Leute kennengelernt, mit vielen alten Freunden und Kollegen gesprochen, mein Russisch aufpoliert und wieder Namen gelernt, die ich als Mami neuerdings ständig und immer wieder vergesse. Man müsste noch viel öfter reisen und alles richtig kennenlernen. Land und Leute in Estland, Lettland und Litauen, in Weissrussland, Schottland, Holland, Russland, der Tschechischen Republik, Finnland, Deutschland und Israel. Und der Rest der weiten Welt.
Litauen ist übrigens auch auf dem Land wunderschön. Felder und dazwischen immer wieder bunte Holzhäuser, teilweise mit ganz steilen Dächern, und mit gekreuzten Fenstern, alle mit 1-2 Kühen an der Leine auf dem Feld und einer Reihe Sonnenblumen, überhaupt vielen Blumen und gemähter Rasen und mit Leuten, die auf den Feldern von Hand Kartoffeln einsammeln und Pferden, die die Äcker pflügen. Keine verwilderten Hunde, nur einige freie Katzen und alles sieht sehr nach heiler Welt aus. Ein ruhiger, schöner Platz für eine weitere Reise. Und es war noch Sommer, noch nicht so herbstlich wie bei uns. Toll, so ein Land kennenlernen zu dürfen.
Am Sonnabend waren wir noch im Zuvintas-Biosphärenreservat, wo wir aber Vögel und See und Schilf nur auf einem Video bewundern konnten, das richtige Hochmoor war leider nicht auf der Agenda, sondern nur einige wiederzuvernässende Flächen aus Sowjetzeiten. Danach sass schon wieder die Zeit im Nacken, bis 16 Uhr wollte ich unbedingt am Flughafen in Vilnius sein. Also mit einem deutschen Kollegen mit dem Mietwagen quer durch die Botanik in die Hauptstadt gedüst, wieder vorbei an Feldern und kleinen Dörfern und einigen Beerdigungen und einem Café, in dem es nicht viel weiteres als Limo, Schnaps und Snickers zu kaufen gab, durch Regen und Sonne und ewige Weiten. Wieder ein schönes, noch sehr naturnahes Land. Irgendwie müsste man die übervölkerten Metropolen dieser Welt aufs Land verteilen können, irgendwie, ohne auf Arbeit, Internet und Einkaufspaläste verzichten zu müssen. Ein Holzhaus, ein Garten, ein Afghane und Freunde ringsherum, das wäre schon genug zum Glücklichsein.
Abends dann zurück in Helsinki. Supermodern und nordisch kühl und die verrückteste Sprache der Welt, das ist immer einer meiner ersten Eindrücke. Witzig, sich im Ausland zuhause zu fühlen. Und gerade in Finnland, meinem Lieblingsland, was gar nicht mehr fremd ist. Im Ausland angekommen und doch daheim. Nur, dass die dämliche Finnair entgegen ihrer eigenen Werbung ihre Gäste gar nicht mehr "abends nach Hause" bringt. Nein, da muss man sich um 20:30 in einem Bus setzen, der zwar vor der Tür des Flughafens abfährt, aber dann erst die ganze finnische Botanik abklappert, inklusive Lahti-Kauppakatu voller Besoffener und die Dorfjugend in Heinola, Hartola und Joutsa... und dann erst um 0:30 in Jyväskylä eintrudelt. Hallelujah und das wo ich im Bus weder lesen noch surfen noch sonst etwas machen kann. Also geträumt, von Feldern und Sonnenblumen und anderen Dingen. Bis der Stress zuhause wieder losgeht. Eine sehr gute Reise. Old happy life for three days, thanx for that.
Das klingt echt toll. Ich glaube wir Muttertiere brauchen sowas mal. Irgendwie denkt man kaum noch an sich selbst(bzw. hat keine Zeit dazu).
AntwortenLöschenSchön, daß du so viel Spaß hattest,nach dem Umzugstreß und sonstigem!